Erzählung
Jun 2015, bei epubli
"Wo die Gewalt regiert mit dem Tod, dort wehen schwarze Flaggen!"
2014. Gut versteckt in der nordirakischen Wüste.
Seit Menschengedenken steht der Baum des Lebens auf der grünen Düne. Wegen ihm muss sie nicht mehr umherwandern mit dem Wind und bleibt. So sagen es die Alten. Alles scheint fest gefügt in dem Dorf, das versteckt dahinter liegt.
Doch unheimliche Krieger rasen wie ein Sturm über die heiße Ebene. Keinen Gott außer ihrem lassen sie gelten. Alles, was vor ihnen geschah, zerstören sie.
Die junge Lehrerin Djamila sieht die Hilflosigkeit des Vaters. Niemand kann gegen eine solche Macht bestehen! Ihr Bruder Habbib schließt sich sogar den bedrohlichen Kämpfern an! Djamila weiß, dass das Dorf sich dem Kriegersturm stellen muss, will es darin nicht untergehen. Je suis Djamila!
Probelesen:
Die Ziegen auf dem väterlichen Hof starrten in die rote Sonne. Für sie gab es nichts anderes. Zwei Hühner scharrten zwischen ihnen im Sand nach Nahrung. Und Djamilas jüngerer Bruder Bihar strich mit einem fransigen Pinsel dass Gatter vor der Nacht.
Vater aber saß vor der Hütte. Die von der Sonne tiefgebräunte Haut sah aus wie faltiges Leder. Und die Hände, rau von der Arbeit eines Viehhirten, lagen reglos im Schoß. Den Hirtenstab hatte er an die Tür gelehnt. Und die nackten Zehen reckte er in die Wärme des Sandes. Nur das Weiße seiner Augen verriet mit einem Glitzern, dass er die Tochter bemerkt hatte.
Djamila trat zu ihm. Aus ihrem Bündel zog sie eine zerknitterte Zeitung hervor und reichte sie ihm.
"Für dich!", sagte sie sanft, und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
Vater murmelte irgendetwas. Strich ihr mit den Fingern übers Haar. Und sah nur flüchtig auf die Zeitung, bevor er sie zu zwei anderen auf den Boden legte, und sie mit einem Stein beschwerte, statt sie zu lesen.
Djamila wusste, dass Vater sich mit der Schrift redlich mühte.
'Du bist die Lehrerin!', hatte er einmal gesagt. 'Wie sieht das aus, wenn ich nicht lesen kann?! Die anderen im Dorf erwarten es einfach!'
Was hatten sie beide gejubelt, als er, der Viehhirte, der nie eine Schule besucht hatte, unbeholfen die Laute aneinandergereiht hatte! Mit den Fingern war er aufgeregt die Worte entlang gefahren. Hatte die Lippen bewegt. Bei jedem neuen Buchstaben. Und sich am Kopf gekratzt. Aus Furcht, einen Fehler zu machen. Doch er hatte alles verstanden hinterher, was dort stand.
Vor zwei Tagen aber erfuhr Vater aus der Zeitung, dass hinter der Düne ein schwarzer Sturm tobte. Selbst in der Nacht. Mit unsäglicher Gewalt gegen die Menschen. Einer, die es so nicht gab vorher. Die er sonst gar nicht gekannt hätte. Da verflog die Freude über dieses Wissen.
Mit schmalen Lippen hatte er die Zeitung gefaltet und sie stumm auf die Terrasse gelegt. Dann hatte er den Stein gepackt. Als wolle er die Schrift zerquetschen.
'Vielleicht kann ich die gedruckten Worte hindern, dass sie die Wüste mit Furcht vergiften!', hatte er tonlos gesagt.
Und Djamila hatte starr vor Schreck mit angehört, was er sagte. Das Lächeln, das die Kinder im Dorf liebten, war ihr nicht gelungen in diesem Moment.
'Sie sind nahe', hatte Vater mit rauer Stimme geflüstert. Und sich stöhnend angelehnt an die Hüttenwand. 'Bald sind sie hier! Wo die Gewalt regiert mit dem Tod, dort wehen schwarze Flaggen!', er hatte die Faust geballt dazu.
Djamila hatte trotzdem gesehen, dass er zitterte. Und sich elend fühlte.
'Mein Leben lang habe ich die Familie behütet', hatte er ihr in die Augen gesehen. Und die alte Hoffnung darin gesucht. Die, die er besaß, als er jung und kräftig war. 'Jede hungrige Zeit haben wir verlacht beim ersten Mahl hinterher.'
Djamila hatte sich an ihn gelehnt. Nun, da er die Gefahren des Lebens kannte und vorsichtiger war, hatte Vater mit zuckendem Mund in den Himmel gesehen. Und eine Hand zur Faust geballt. Djamila hatte den Glanz der Tränen in seinen Augen erkannt. Und wie er ihn heimlich fortwischte mit der anderen.
Das war zwei Tage her.
"Ich habe Angst. Dass ich euch nicht beschützen kann vor dem Fremden. Es erhebt sich so gewaltig! Niemand hält es auf!", gestand Vater ihr.
...
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