Höllenpforte

Roman
ab Winter 2025


"Leicht wie der Wind, hat Babuschka gesagt!", Irina Petrowna Morosowa

Die Geburt einer neuen Religion.

Irina ist mit ihren Freunden zur Disco gefahren. Das geht nur mit einem gestohlenen Shiguli so mitten im russischen Winter - und nur mit jeder Menge Wodka.

Die Freunde sind bei ihr und geben ihr Sicherheit, Pjotr Timofej gesteht ihr endlich seine Liebe. Wäre da nicht der panische Hilfeschrei - alles wäre in Ordnung in der kleinen Welt, die sie kennt.

Der Hilfeschrei, den Irina dann beim Tanzen hört, erschüttert sie. Denn es war ihr eigener! Nur Pjotr hat den Schrei ebenfalls gehört. Niemand sonst. Aber keiner der beiden hat eine Idee, was es damit auf sich hat. Weshalb sollte Irina so panisch nach Hilfe schreien?

Sie wollen auf die höchste Schneewehe klettern, um den Sternen näher zu sein. Um sich zu beruhigen. Das Firmament im Winter ist wunderschön, jetzt, wo sie wissen, dass sie einander lieben! Was kann ein Schrei aus einer anderen Zeit ihnen schon anhaben!

Doch das Geräusch von altmodischen Fuhrwerken, die durch die Nacht rollen, ist nur der Anfang einer Serie von Ereignissen, die Irina und Kostja immer schneller in einen Strudel aus Gewalt und Glauben reißen. Es verwebt sogar die Zeiten! Und schneller als gedacht, geht es plötzlich um alles, was Irina kennt. Um ihr Leben. Um das von Pjotr. Und um das der Fliehenden in der Mitte der Nacht.

Probelesen:


Irina fror bitterlich zwischen den kahlen Büschen. Aber sie war selbst Schuld. Halb angezogen draußen im Winter herumzulaufen, war bescheuert! Sie kauerte sich noch mehr zusammen und zog den Anorak über die Knie, den sie flink übergeworfen hatte.

Hinter ihr das Dorf konnte sie nicht mehr erkennen, so dicht waberte der Nebel über die endlosen Felder. Und vor ihr lag der versteckte See.

Der alte Weiher.

In seiner vereisten Mitte gähnte ein schwarzes Loch. Dorthin starrte Irina. Denn dort ist Pjotr Timofej in das eiskalte Wasser gestiegen, wenigstens in einem Neoprenanzug und mit Taschenlampe. Wenn sie genau hinsah, erkannte sie das flatterhafte Licht der Handlampe. Es färbte das Eis von unten gefährlich grau.

Irina schüttelte sich und wartete darauf, dass Pjotr wieder an die Oberfläche kam.

Doch die Zeit verstrich, und das Leuchten wurde matt. Und auf einmal leuchtete es grell und rot auf! Aus dem Loch schwappte gleich darauf dunkles Wasser, als ob in der Tiefe Bewegung herrschte.

Dann wurde es wieder still. Und das rote Leuchten verschwand. Nicht einmal das matte weiße Licht der Lampe Pjotrs war mehr zu sehen.

Irina sprang auf, rannte bis zu dem Loch und starrte in die Tiefe. Doch sie konnte nichts erkennen. Alles blieb ruhig unter dem Eis.

Da riss sie sich den Anorak von den schmalen Schultern, stieß die Stiefel fort und atmete tief ein, soweit sie es konnte in der Eiseskälte. Sie musste sich entscheiden, hielt so nicht lange aus, nackt wie sie auf dem Eis stand.

Irina kletterte in das Loch hinein. Das Wasser umspülte ihre Beine wie mit Eiswürfeln. Sie schrie vor Schmerz. Sie wimmerte, als es ihr bis zu den Rippen langte. Und sie hechelte, so kalt war es! Doch sie musste Pjotr helfen! Noch einmal Luft holen, so viel, dass es hin und zurück langte - dann stieß sie sich ab vom Rand und tauchte unter.

Hier unter dem Eis erkannte sie viel mehr als von oben!

Das Licht der Taschenlampe glimmte nur noch. Aber es wies ihr den Weg. Den Weg zu der Hand, die es hielt. Irina teilte kräftig das Wasser mit den Armen, damit sie tief auf den Grund gelangte. Dann hatte sie es geschafft.

Pjotr trieb ein paar Zentimeter über dem Schlamm des Grundes. Die kleine Lampe, die an seinem Handgelenk hing, schabte über den Schlamm und wirbelte Dreck auf. Deshalb war das Licht so schwach!

Irina zog an Pjotrs Arm und hob ihn hoch. Das war ganz leicht im Wasser. Immer vor sich her schob sie ihn empor, bis zu dem klaffenden Loch im Eis.

Oben schlüpfte sie auf das Eis und zerrte Pjotr auf den Rand. Die Haut ihrer Knöchel schürfte ab, und sie stieß sich schmerzhaft das linke Knie. Doch sie schaffte es, ihn auf das Eis zu ziehen. Mit steifen Fingern stieg sie unbeholfen in die Stiefel, die eiskalt waren wie sie. Und ungelenk schlüpfte sie in den Anorak.

Dann machte sie sich daran, Pjotr zu untersuchen. Er atmete nicht!

Irina öffnete öffnete ihm den Mund, drehte den Kopf zur Seite und begann mit der Herzmassage. Ihr fiel nichts anderes ein. Dann erinnerte sie sich, dass sie Pjotr zuerst Luft geben musste, damit er selber atmen konnte. Und sie spürte plötzlich, dass ihr wieder warm wurde. Und sah das Blut, das Pjotr aus einer schrecklichen Wunde im Bauch pulste. Irgend etwas hatte ihn aufgespießt und ihm die Eingeweide zerrissen. Was sollte sie nur tun!?

"Pjotr!", sie flehte und klopfte ihm auf die Brust.

Nichts.

Sie presste weiter auf die Brust, und Luft in ihn hinein. Doch es half nichts. Selbst als es Morgen wurde, lag Pjotr reglos auf dem Eis. Und Irina kniete in einer Lache aus schwarzem Blut.

Da hörte sie auf. Sie konnte nicht mehr. Jetzt erst merkte sie, dass sie zitterte wie Espenlaub. Unter ihrem Anorak war alles nass vom Schweiß. Und aus ihrem Stiefel tropfte ihr eigenes Blut. Sie streichelte Pjotrs Gesicht. Er war seit Stunden tot, eiskalt. Und sein Gesicht, das sie so gern liebkost hatte, glänzte voller Eiskristalle, die den Tod noch einen Moment verbergen würden.

Irina wurde übel. Sie wäre fast zur Seite gekippt, die Augen geschlossen. Im letzten Moment riss sie sich zusammen und kämpfte sich hoch. Sie durfte nicht einschlafen! Dann wäre sie tot wie Pjotr.

"Aah!", schrie sie zu den Feldern hinüber. Dann stolperte sie los. Sie musste das Dorf erreichen, hinter den Feldern.

Als sie ankam, eilten ihr Männer und Frauen entgegen. Umringten sie. Starrten sie erschrocken an. Ein Mädchen streichelte ihr über den Kopf.

"Du hast ganz weiße Haare!", sagte es.

...

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